Handlungsfelder im Programm des Kongresses Armut und Gesundheit 2025
Wie in den vergangenen Jahren bildet die Ottawa-Charta der Gesundheitsförderung den inhaltlichen Anker des Kongressprogrammes (WHO, 1986). Sie definiert fünf Handlungsfelder, welche in einem Mehr-Ebenen-Modell gut dargestellt werden (WHO, 1990):
Mehr-Ebenen-Modell der Gesundheitsförderung
(WHO, 1990)
An diesen fünf Handlungsfeldern orientiert sich die Programmstruktur des Kongresses. Anhand von Beispielen werden nachstehend die Handlungsfelder für den Kongress einmal beschrieben:
Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik
Als zentrale Grundlage wird die Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik benötigt, die die Belange aller Menschen mit berücksichtigt: „Gesundheit muss auf allen Ebenen und in allen Politiksektoren auf die politische Tagesordnung gesetzt werden“, heißt es dazu in der Charta (WHO, 1986, S.3).
Wie sehr Gesundheit als gemeinschaftliche Aufgabe in allen Politik- und Gesellschaftsbereichen verstanden werden muss, zeigte sich deutlich in den zwei Jahren der COVID 19-Pandemie. In der akuten COVID 19-Krise wurde Gesundheitsschutz allen Politikfeldern übergeordnet. Auch in Krisenzeiten muss es möglich sein, dass Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention im politischen Fokus bleiben und Menschen mit besonderen Armuts- und Gesundheitsrisiken priorisiert werden. Menschen müssen vor allem in Krisenzeiten ihr Vertrauen in öffentliche Institutionen erhalten und sich durch diese gestärkt und unterstützt fühlen können (Raimund Geene, Kongress Armut und Gesundheit 2022, „Was jetzt zählt...Kinder und Jugendliche im Blick“). Public Health ist hier als Schnittstelle zu verstehen in der „Öffentlichen Sorge um die Gesundheit aller“ (Zukunftsforum Public Health, 2019).
Health in All Policies (HiAP) ist als Weiterentwicklung der Ottawa Charta der Gesundheitsförderung zu verstehen mit dem Ziel, Gesundheit als Leitbild in allen politischen und gesellschaftlichen Handlungsfeldern zu verankern und die Auswirkungen von politischen Entscheidungen auf Gesundheit und Gesundheitssysteme zu berücksichtigen und schädliche Auswirkungen auf Gesundheit zu vermeiden (Zukunftsforum Public Health, 2019). „Ziel muss es sein, auch politischen Entscheidungsträgern die gesundheitsgerechtere Entscheidung zur leichteren Entscheidung zu machen“ (WHO, 1986).
Gesundheitsfördernde Lebenswelten schaffen
Weiterhin muss es das Ziel sein, gesundheitsfördernde Lebenswelten zu schaffen. Die Vielfalt und Spezifität der Lebenswelten und Bedürfnisse ergibt sich aus der Unterschiedlichkeit der Menschen und ihrer Lebenssituationen. Die ganz direkten Lebenswelten beeinflussen unsere Gesundheit und müssen daher aktiv gesundheitsförderlich gestaltet werden.
Lebenswelten wie Kitas, Schulen, Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Familien- und Stadtteilzentren sind oft Orte der Struktur und Sicherheit für die Menschen, die dort leben und teilhaben. In der COVID 19-Pandemie waren sie oft stark betroffen (z. B. Besuchsmöglichkeiten in Pflege- und Seniorenheimen) und standen dauerhaft in der Öffentlichkeit (z. B. Schließungs- und Testkonzepte in Schulen und Kitas). Mit dem Start des Krieges in der Ukraine standen Schulen erneut im Mittelpunkt. Entweder kamen geflüchtete Kinder über private Kontakte mit in den Unterricht oder wurden zentral gesteuert in Willkommensklassen aufgenommen. Schulen und kommunale Aufnahmeeinrichtungen müssen zeigen, was aus den Erfahrungen der Jahre 2015/16 unter neuen Vorzeichen gemacht werden kann. Die einzelnen Lebenswelten bieten auf der einen Seite eine Struktur, die resilienzstärkend wirken kann und den Umgang mit Unsicherheit für die einzelne Person unterstützt. Auf der anderen Seite sind diese Orte auch selbst von großer Unsicherheit betroffen und müssen einen resilienten Umgang damit finden. In der Ottawa Charta heißt es zu den Lebenswelten: „Die sich verändernden Lebens-, Arbeits- und Freizeitbedingungen haben entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit. Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft die Arbeit, die Arbeitsbedingungen und die Freizeit organisiert, sollte eine Quelle der Gesundheit und nicht der Krankheit sein“ (WHO 1986). Mit den Daten zu immer weiter steigenden Zahlen von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Daten zu Beeinträchtigung psychosozialer Entwicklungen sind die Lebenswelten ein zentraler Ort, um Public-Health Maßnahmen umzusetzen.
Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen unterstützen
Darüber hinaus tragen auch die Menschen im direkten Umfeld maßgeblich zur Gesundheit bei. Daher gilt es gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen zu stärken. Unterstützungsstrukturen wie Nachbarschaftsnetzwerke, Selbsthilfe oder auch vertrauensvolle stärkende Communities sowie gemeinsame Aktivitäten zur selbstbestimmten Gestaltung der Umwelt gilt es zu fördern und dafür auch entsprechende Ressourcen bereitzustellen.
„Gesundheitsförderung wird realisiert im Rahmen konkreter und wirksamer Aktivitäten von Bürger[*inne]n in ihrer Gemeinde: in der Erarbeitung von Prioritäten, der Herbeiführung von Entscheidungen sowie bei der Planung und Umsetzung von Strategien“, so wird in der Ottawa Charta die Bedeutung der gesundheitsförderlichen Gemeinschaftsaktionen hervorgehoben. Während der Pandemie konnte diese oft nur digital erlebt werden. Viele kommunale Begegnungsstätten waren geschlossen, menschliche Begegnungen galten oftmals gleichzeitig als Infektionsrisiko. Für viele bedeutete dies einen Rückzug in die Häuslichkeit, so unterschiedlich diese auch aussah. Der öffentliche Raum als Begegnungsort wird nach den Lockdowns erst wieder erforscht und gemeinsam gestaltet. Doch auch wenn Begegnungen schwierig waren, so waren die letzten zwei Jahre doch auch von großer Solidarität und zivilgesellschaftlichem Engagement geprägt: bei der Nachbarschaftshilfe, digitalen Vernetzungen und nicht zuletzt auch bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine.
Persönliche Kompetenzen entwickeln
Zudem muss Gesundheitsförderung darin unterstützen, persönliche Kompetenzen zu entwickeln.
Persönliche Kompetenzen sind von den aktuellen Herausforderungen in mehrfacher Hinsicht betroffen und gefordert. Die schnellen Veränderungen in der Gesellschaft haben teilweise zu völlig neuen Lebensrealitäten und Herausforderungen geführt, die es zu bewältigen gilt.
Der Digitalisierungsschub kann als ein Beispiel hierfür betrachtet werden. Nicht nur alltägliches, sondern auch Gesundheits- und Gesundheitsförderungsangebote wurden zunehmend digitalisiert. Neben Zugang zu Technik werden auch entsprechende Kompetenzen benötigt, um daran teilhaben zu können. Beides ist in der Gesellschaft ungleich verteilt, wobei eine gering ausgeprägte Gesundheitskompetenz mit einem niedrigen sozioökonomischen Status einhergeht und nicht zuletzt mit einem schlechteren Gesundheitszustand. Menschen in benachteiligten Lebenslagen haben also strukturell schlechtere Voraussetzungen um (kompetent) auf neue Herausforderungen zu reagieren.
Auch die mentale Gesundheit nimmt in unbeständigen Krisenzeiten einen besonderen Stellenwert ein, wobei als Antwort darauf oft die Stärkung von Resilienz, im Sinne der psychischen Widerstandskraft, bemüht wird. Die Option Menschen dazu zu befähigen, besser mit schwierigen Belastungslagen umzugehen, ist grundsätzlich zu befürworten, birgt jedoch die Gefahr, psychische Probleme zu individualisieren, statt die Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen. Vorrangig sollten immer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den Blick genommen und so gestaltet werden, dass alle die gleichen Gesundheitschancen haben. Die Förderung persönlicher Kompetenzen darf nicht als Ausrede dafür dienen, Gesundheit und Krankheit zu individualisieren, sondern muss als Baustein betrachtet werden, um der Ungleichheit etwas entgegenzusetzen
Neuorientierung der Gesundheitsdienste
Als fünftes Handlungsfeld wird die Neuorientierung der Gesundheitsdienste benannt. Hier wurde in den vergangenen Jahren über den Pakt für den ÖGD gewaltige Veränderungen angestoßen, die es weiter auszubauen gilt.
Laut Ottawa Charta liegt die Verantwortung für Gesundheitsförderung nicht allein beim Individuum, sondern wird als Gemeinschaftsaufgabe von Gesundheitsdiensten, Gesundheitseinrichtungen und dem Staat verstanden. 1986 lag der Fokus insbesondere auf einer Neuorientierung hin zu einer Versorgung, die die „Bedürfnisse des Menschen als ganzheitliche Persönlichkeit ermöglichen“ und somit auch die bessere Koordination mit anderen sozialen, politischen und ökonomischen Sektoren umfasst. Diese Bestrebungen sind nach wie vor aktuell. Nach zwei Jahren Pandemiegeschehen stehen die Gesundheitsdienste allerdings vor vielen neuen Herausforderungen: Fachkräftemangel, Digitalisierung, Multimorbidität und veränderte Patient*innen-Bedarfe seien hier nur als Stichworte genannt.
Der Virus warf die Frage auf, wie krisentauglich unser deutsches Gesundheitssystem aufgestellt ist. Doch auch die kommenden Herausforderungen, wie Hitzewellen und Naturkatastrophen, benötigen ein Umdenken in der Versorgung. Nicht nur in der nachhaltigen Energieversorgung für Gesundheitseinrichtungen, sondern auch in Strategien zum Umgang mit einer steigenden Hitzebelastung oder des vorbereitet seins auf Problemwetterlagen.
Mit dem Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst wurde bereits ein wichtiger Schritt in Richtung Zukunft gegangen. Die beiden Schlüsselstellen Personal und Digitalisierung finanziell zu fördern, um so die Gesundheitsämter zu modernisieren und als attraktive Arbeitgebende auszustatten, wurde größtenteils begrüßt. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist dabei weitaus mehr als Infektionsschutz, sondern ihm sollte die Rolle eines kommunalen Akteurs zur Bekämpfung gesundheitlicher Ungleichheit zukommen (Kooperationsverbund gesundheitliche Chancengleichheit 2022).
Literatur:
Diskussionspapier zum Kongress Armut und Gesundheit 2023: Verfügbar unter: https://www.armut-und-gesundheit.de/kongress-2023/diskussionspapier
Satellitenveranstaltung zum Kongress Armut und Gesundheit (2022): Verfügbar unter: https://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/fileadmin/user_upload/pdf/Kongress_A_und_G/Satellit_2022/Satellit_OEGD_Public_Health_21032022_Bericht_Abschlussdiskussion.pdf
WHO (1986): Ottawa Charta zur Gesundheitsförderung. Verfügbar unter: https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf
Zukunftsforum Public Health (2019): Health in All Policies – Entwicklungen, Schwerpunkte und Umsetzungsstrategien für Deutschland. Verfügbar unter: https://zukunftsforum-public-health.de/download/health-in-all-policies-entwicklungen-schwerpunkte-und-umsetzungsstrategien-fuer-deuschland/?wpdmdl=2770&refresh=62a8b3eb0d8871655223275